Gleich mit ihrem erschütternden Debütfilm «Inside – Was sie will ist in Dir» (À l’intérieur) setzten sich die beiden Franzosen Alexandre Bustillo und Julien Maury dermassen hartnäckig in den Köpfen der Zuschauer fest, dass man noch heute, fast fünfzehn Jahre später, eher ungern an ihre emotional erschöpfende, unglaublich brutale Home Invasion-Variation zurückdenkt. Der bei den diesjährigen Fantasy Filmfest Nights uraufgeführte «Kandisha» könnte das Zeug zum waschechten Terror-Kandidaten haben. Hier wiederum ist es die Welt der Rachegeister, der man sich im Laufe von rund neunzig Minuten nur schwer entziehen kann.
Auch die Nachfolgefilme von «Inside – Was sie will ist in Dir» wie «Among the Living» und «Livid» waren letztlich vor allem eines: sehr erfolgreiche Abwandlungen allseits bekannter, erprobter Genrefilm-Muster, denen aber stets ein eigener Twist innewohnte, mit dem man vorher nicht gerechnet hatte. Wer, wenn nicht sie, könnte einen Haunted House-Albtraum entwerfen, der sich gänzlich unter Wasser und auf dem Grund eines Sees abspielt? Es ist aber eben nicht nur ihr aktuelles Werk «The Deep House», eine Mischung aus Haunted House-Spuk und Found Footage-Horror im Stile von «Paranormal Activity» und dem aquatischen Grauen eines «47 Meters Down», mit dem uns Alexandre Bustillo und Julien Maury dieses Jahr das Fürchten lehren wollen.
In den Vereinigten Staaten kennt fast jeder die sehr beliebte und verbreitete urbane Legende von «Bloody Mary» (und die daraus hervorgegangene männliche Version namens «Candyman») und ihrem schattenhaften Dasein in der Welt der Spiegel. Im arabischen Raum gibt es derlei Erzählungen auch, hier heisst der rachsüchtige Geist in Frauengestalt allerdings Aisha Qandisha und hat es vor allem auf die männliche Bevölkerung abgesehen. Für Bustillo und Maury die perfekte Grundlage für einen Candyman-artigen Spuk, der mit islamischen Motiven, sozialer Ungerechtigkeit und dem Thema der Frauenbewegung spielt.
Ist der Dämon (oder Dschinn, in diesem Fall) aber erst einmal entfesselt, gibt es bald darauf, wie sich unschwer am Kandisha-Trailer erkennen lässt, kein Halten mehr und alle politischen Motive geraten schnell zur Nebensache! Vor dem Hintergrund der Pariser Ghettos entwerfen die beiden Filmemacher eine Rachegeschichte, die ihren großen Reiz aus dem Unbekannten bezieht. Selbst die drei Hauptcharaktere Amélie (Mathilde La Musse), Bintou (Suzy Bemba) und Morjana (Samarcande Saadi) können mit dem Fluch, der dem aus Candyman nicht unähnlich ist, zunächst nicht viel anfangen, sehen sich dann aber mit zunehmend brutaler werdenden (eine Spezialität von Alexandre Bustillo und Julien Maury) Morden konfrontiert, die sie an ihrem eigenen Verstand zweifeln lassen. In Deutschland hat sich Tiberius Film die Rechte an «Kandisha» gesichert und strebt noch dieses Jahr eine bislang undatierte Heimkino-Veröffentlichung an…