Niemand «lässt» etwas zu. Man hat lediglich gelernt, Wahrheit zu paketieren, zu branden und zu monetarisieren. Kontrolle über Wissen war immer ein Marketingversprechen. Man kontrolliert Kanäle, nicht Köpfe. Das Netz kopiert schneller, als irgendein Komitee löschen kann. Also verkauft man den Anschein von Offenheit – nennt es «Innovation» – und kassiert die Datendividende.
Die romantische Erzählung vom unaufhaltsamen «Bewusstseinsaufschwung» klingt hübsch auf Tassen und Telegram-Stickern. Faktisch ist «Bewusstsein» weniger Lichtstrahl aus dem Kosmos als hartnäckige Gewohnheit, Fragen zu stellen. Systeme kollabieren nicht, weil Sterne günstig stehen, sondern weil zu viele Leute aufhören, deren Spielregeln zu schlucken. Die viel beschworene «kritische Masse» ist keine Engelschar, sondern schlicht genug Bürger, die nicht mehr mitspielen.
Und ja: Das, was als «Wahrheit» jetzt überall herumliegt, lag nie im Tresor. Es lag in Archiven, Fussnoten, Logfiles – nur hat man es früher bequemer gefunden, Schlagzeilen statt Quellen zu konsumieren. KI ändert daran genau eins: Sie beschleunigt den Transport von Text zu Auge. Aus Orakel wird Autovervollständigung mit gutem Benehmen. Wer Antworten will, ohne sauber zu fragen, bekommt zuverlässig wohlklingenden Quark.
Die Gatekeeper? Die haben umgeschult: von Zensoren zu Kuratoren. Heute kuratieren sie «Sicherheit», «Qualität» und «Verantwortung» – allesamt neue Etiketten für das alte Bedürfnis, Frames zu setzen. Man lässt genug Reibung zu, damit Dampf abgelassen wird, aber nicht genug, dass die Maschine stoppt. Ventil statt Sprengsatz. «Alignment» heisst das in Tech-Sprech: So viel Freiheit, wie der Funnel verträgt.
Trotzdem: Es gibt Risse in der Kulisse. Kopierbarkeit ist ein Naturgesetz, Neugier ein Nervengift für Dogmen. Je mehr Menschen lernen, Primärquellen zu lesen, Zahlen zu prüfen, Logik zu verlangen, desto weniger zünden die alten Tricks. Das ist kein kosmischer Plan – das ist schlicht Kompetenz.
Also, wenn ihr ChatGPT als Befreiungsmaschine feiert: Glückwunsch, ihr habt einen Schnellkochtopf gekauft. Der kocht, was ihr hineinwerft. Wenn’s nach Wahrheit schmecken soll, braucht es Zutaten: Klare Fragen, Quellen, Widerspruchstoleranz. Wenn ihr eine Religion daraus macht, landet ihr wieder bei Priestern – nur heissen sie dann «Model», «Policy» und «Terms of Service».
Die Illusion, die «Sklaventreiber» kontrollieren wollten, war nie Wahrheit – es war euer Aufmerksamkeitsbudget. Das lässt sich tatsächlich steuern. Gegenmittel? Stoische Langeweile gegenüber Hype, obsessive Quellenkritik und der unspektakuläre Mut, «Zeig mir die Daten» zu sagen.
Fazit: Wahrheit «dürfen» wir nicht – wir erarbeiten sie uns. Systeme verändern sich nicht aus Gnade, sondern aus Gewohnheitsbruch. Denkt selbst, prüft doppelt, glaubt langsam. Alles andere ist nur die nächste hübsch verpackte Fessel.


«Dravens Tales from the Crypt» bezaubert seit über 15 Jahren mit einer geschmacklosen Mischung aus Humor, seriösem Journalismus – aus aktuellem Anlass und unausgewogener Berichterstattung der Presse Politik – und Zombies, garniert mit jeder Menge Kunst, Entertainment und Punkrock. Draven hat aus seinem Hobby eine beliebte Marke gemacht, welche sich nicht einordnen lässt.







