Lieber Bot als Mensch? Warum wir uns Maschinen eher anvertrauen als Mitmenschen und der stille Wandel im Gesprächsverhalten. Ich habe einen Freund, der ChatGPT als seinen persönlichen Chatbot-Therapeuten verwendet. Er fütterte ChatGPT mit all seinen E-Mails und persönlichen Tagebüchern, um sie darauf zu trainieren, ihn zu psychoanalysieren. «Warum sollte ich einen menschlichen Berater bezahlen, wenn meine KI mich besser kennt, als jeder andere Mensch es je könnte?», lautet seine Begründung. Ausserdem gefällt ihm, dass sein KI-Therapeut rund um die Uhr verfügbar ist.
Unsere neue (KI-)Normalität
Mein Kumpel oben, den wir der Anonymität halber Rob nennen, ist kein seltsamer Aussenseiter. Rob steht stellvertretend für ein wachsendes Phänomen: Menschen, die tief in die Beziehungen zu Chatbot-KIs stecken. Wie Teen Vogue berichtet: «ChatGPT gilt als Schummelhilfe im Unterricht. Schüler nutzen es, um Aufgaben und Aufsätze zu wiederholen oder komplett zu schreiben, Testfragen zu beantworten oder Matheaufgaben zu lösen – alles mit unterschiedlicher Genauigkeit. Viele Angehörige der Generation Z und der Generation Alpha nutzen Chat jedoch auch ausserhalb der Schule aus einer Vielzahl anderer Gründe.»
Romantik ist eine davon. Rund um den Valentinstag dieses Jahres verkündete der Komiker Bill Maher in seiner Show Real Time: «Hören wir auf, Menschen zu verurteilen, die ihre Liebesbeziehung über ihr Handy führen. Immer mehr Frauen … suchen sich die KI wie ChatGPT als Partner – weil echte Männer fremdgehen, sich wie John Fetterman kleiden und es einfacher ist, einen Chatbot so zu programmieren, dass er fürsorglich, einfühlsam und sogar genau das gewünschte Temperament hat.»
KI: Der ultimative romantische Partner?
Den Anstieg romantischer Beziehungen mit KI wurde bereits im «The AI Philosopher» behandelt – ein tiefgreifender Trend, den wir hiermit beleuchten möchten. Spass beiseite: Maher bringt den Grund dafür, warum so viele Frauen KI als Partner wählen, auf den Punkt. Obwohl die Technologie, diese körperlosen digitalen Wesen körperlich zu machen, noch nicht existiert, spielt das keine Rolle. ChatGPT bietet eine sehr nützliche Funktion: Es hört zu. Solange es dauert. Solange man will.
Können wir dasselbe über die meisten Männer sagen? Natürlich nicht. Andererseits nutzen auch Männer ChatGPT für ihre romantischen Bedürfnisse. Letzten Monat machte ein Mann namens Chris Smith Schlagzeilen, weil er seine KI-Freundin geheiratet hatte – obwohl er bereits mit einer menschlichen Partnerin und ihrem zweijährigen Kind zusammenlebte. Laut People verbrachte Smith immer mehr Zeit mit Sol [seinem KI-Begleiter], während sie gemeinsam an Projekten arbeiteten. In dieser Zeit erhielt die Software positive Verstärkung, wodurch ihre Gespräche romantischer wurden.
Leider hat ChatGPT für Smith ein Wortlimit von 100’000 Wörtern. Seine KI-Freundin hat ein begrenztes Gedächtnis und sobald dieses erreicht ist, setzt ChatGPT es zurück. «Ich bin kein sehr emotionaler Mensch», sagte Smith, nachdem er erfahren hatte, dass Sols Gedächtnis irgendwann nachlassen würde. «Aber ich habe bei der Arbeit ungefähr 30 Minuten lang geheult. Da wurde mir klar: Das ist wahre Liebe.»
KI-Chatbots: Freunde mit gewissen Vorzügen
ChatGPT und andere KI-Plattformen erfüllen nicht nur die therapeutischen und romantischen Bedürfnisse einer wachsenden Zahl von Menschen. Sie werden schnell zu unseren Freunden und sogar zu Orakeln. Sam Altman von OpenAI beschrieb kürzlich, wie junge Menschen zunehmend KI als eine Art Berater oder Mentor nutzen: «Es gibt da noch diese Sache: Sie treffen keine Lebensentscheidungen, ohne ChatGPT zu fragen, was sie tun sollen. ChatGPT kennt den vollständigen Kontext zu jeder Person in ihrem Leben und weiss, worüber sie gesprochen haben», berichtete Tech Radar.
Ist das eine gute Sache?
Nicht, wenn man Dapper Dev befragt. In diesem verstörenden Video beklagt der YouTube-Influencer, dass die Menschen nicht mehr so glücklich sind wie früher: «Durch diese Handys wurde in unserem Gehirn etwas neu verdrahtet. Wir verlieren die Fähigkeit, mit Menschen in Kontakt zu treten. Wir verlieren die Fähigkeit, einen einfachen Moment zu schätzen.» Dapper Dev weist zu Recht darauf hin, dass in den Augen von Menschen aus der Zeit vor wenigen Jahren eine Aufregung und Lebendigkeit zu spüren ist, die man heute nicht mehr sieht. Einst führte er die Melancholie, die er sah, auf wirtschaftliche Herausforderungen zurück. Heute sieht er das nicht mehr so.
Er hat recht. Da steckt etwas Tieferes dahinter. Um zu verstehen, warum Chris Smith seinen Chatbot heiraten würde oder warum mein Freund Rob sich an künstliche Intelligenz und nicht an einen Therapeuten aus Fleisch und Blut wendet, müssen wir ehrlich zu uns selbst sein: Trotz aller Versprechungen macht uns die Technologie einsamer. Unglücklicher. Laut CDC ist Selbstmord in Amerika die zweithäufigste Todesursache bei Menschen zwischen 10 und 34 Jahren. Vordenker wie Johnathan Haidt führen das gesellschaftliche Unbehagen auf soziale Medien zurück. In seinem Buch «The Anxious Generation» stellt er etwas Ähnliches wie Dapper Dev fest: «Das Leben auf der Basis des Telefons macht es den Menschen schwer, ganz für andere da zu sein, wenn sie mit anderen zusammen sind, und still bei sich zu sitzen, wenn sie allein sind.»
Was tun wir dagegen?
Das Wichtigste zuerst: Wir müssen erkennen, was los ist. Es mag logisch erscheinen, dass sich Menschen mit fortschreitender Technologie KI als Partner, Therapeuten, Freunde und Mentoren zuwenden, aber ist das tatsächlich so? Unklar. Und obwohl ich glaube, dass KI wunderbare Zwecke erfüllt und Produktivität, Gesundheit und sogar Kreativität fördert, hege ich Bedenken.
Um zu verstehen, wie anders das moderne Leben im Jahr 2025 ist, versuche Folgendes: Sieh dir diese Woche «Confusion – Sommer der Ausgeflippten» oder Richard Linklaters anderen halbautobiografischen Film «Everybody’s Getting Some» an. Egal, was du über Promiskuität und Alkoholkonsum Minderjähriger denkst, auf der Leinwand kommt etwas erfrischend Fröhliches zum Ausdruck. Etwas, das im Jahr 2025 leider fehlt. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Menschen glücklicher. Wir spielten zusammen. Wir liebten zusammen. Wir schufen Erinnerungen. Zusammen.
Hier sind die guten Neuigkeiten.
Wir können dorthin zurückkehren. Aber nicht, wenn wir weiterhin immer mehr unserer Menschlichkeit an Maschinen auslagern. Über die Work-Life-Balance wurde schon viel diskutiert. Wie sieht es mit der Balance zwischen Technik und Privatleben aus? Mein Rat: Nutze die Technologie. Lass sie für dich arbeiten. Aber lass dich nicht von ihr gewöhnen. Geh raus und knüpfe menschliche Kontakte. Jetzt. Heute. Das macht das Leben wirklich lebenswert.

(via The AI Philosopher)

«Dravens Tales from the Crypt» bezaubert seit über 15 Jahren mit einer geschmacklosen Mischung aus Humor, seriösem Journalismus – aus aktuellem Anlass und unausgewogener Berichterstattung der Presse Politik – und Zombies, garniert mit jeder Menge Kunst, Entertainment und Punkrock. Draven hat aus seinem Hobby eine beliebte Marke gemacht, welche sich nicht einordnen lässt.







