Alt sind wir geworden. Wir die Fans – und auch die wilden Rock-Helden Axl Rose, Duff McKagan und Slash, drei der fünf wichtigsten Figuren des Line-ups der achtziger Jahre, welche gestern zum ersten Mal seit 1993 wieder auf der Bühne vereint waren. Die Herren, alle mittlerweile zwischen 51 und 55 Jahre alt, wollen im Rahmen der Tournee bis Ende Jahr 118 Shows abgespult haben. Guns N’ Roses spielten im Zürcher Letzigrund ein langes Konzert und liessen ein markiges Stück Rockgeschichte wiederaufleben.
Was schon vor dem Stadion auffiel, war die womöglich höchste Fan-Shirt-Dichte der Welt. Selbst die jungen Fans, die die Blütezeit der Band nicht miterlebt haben, trugen Schwarz, Knarren und Rosen. Eine reine Nostalgie-Veranstaltung war das Konzert aber definitiv nicht. Klar, die meisten Besucher waren Ü40 und waren da, um den Soundtrack ihrer Jugend zu hören und in Erinnerungen zu schwelgen. Doch offenbar gibt es auch eine junge GnR-Fangeneration, die erst nach der Trennung der Band Mitte der Neunzigerjahre mit ihrer Musik in Kontakt gekommen ist. Die Band schafft es also auch heute noch, neue Fans dazu zu gewinnen.
Die Show im Zürcher Letzigrund war die fünfte von insgesamt 19 Europa-Konzerten auf der grossen Guns N’-Roses-Reunion-Tour, welche Rose, McKagan und Slash offensichtlich selbst für undenkbar gehalten hatten, wie der Tour-Titel “Not in this Lifetime” selbstironisch andeutet. Die Musiker, die früher berüchtigt für Drogen- und Gewaltexzesse und für ihre Unzuverlässigkeit waren, hatten sich Mitte der Neunziger zerstritten – bis sich die Band in diesem Frühling überraschend wieder zusammentat. Wieder mit auf der Bühne ist auch der langjährige Pianist Dizzy Reed, der Gitarrist Izzy Stradlin und der Schlagzeuger Steve Adler aus der Originalbesetzung fehlen und wurden durch Richard Fortus und Frank Ferrer ersetzt. Obwohl die Band in den letzten 20 Jahren immer wieder abgeschrieben wurde, bewies sie gestern, dass sie noch nicht zum alten Eisen gehört und nach wie vor ordentlich Dampf unter der Haube hat. Die Amerikaner spielten eine fast dreistündige, übergangslose Show, die keine Langeweile aufkommen liess. Nach rund 70 Shows in beiden Amerikas sitzt das Programm.
Nach den jüngsten Terror-Meldungen wurden für die erste grosse Schweizer Stadionshow die Sicherheitsstandards noch einmal verschärft und so kreisten abwechslungsweise drei Helikopter über dem Letzigrund. Auch waren zum Beispiel keine grösseren Taschen und Rucksäcke zugelassen, sondern nur Kosmetik- und Bauchtäschchen die nicht grösser als ein A5-Blatt sein durften. Jede und jeder wurde einzeln abgetastet und viele mussten dreimal anstehen, erste beim Eingang, wo man weggewiesen wurde, dann bei den Schliessfächern für die verbotenen Gegenstände hinter dem Stadion und dann wieder beim Eingang. So haben es die IS-Terroristen geschafft, den Lebensstil in der Schweiz zu verändern, obwohl sie hier bisher keinen Anschlag verübt haben. Die Bombe am Konzert von Ariana Grande in Manchester hat eine psychologische Druckwelle ausgelöst, die bis in den Letzigrund reichte. Leider wird offensichtlich der gesunde Menschenverstand bei Seite gelassen, denn die absolute Sicherheit gibt es nicht. Hat es nicht und wird es nie geben. Wenn tatsächlich von einer Terror-Gefahr auszugehen ist, wäre die Menge vor dem Stadion das einfachste Ziel, wie die Anschläge vor dem Fussballstadion in Paris zeigten, dort detonierten die Bomben im Aussenbereich…
Das erste Drittel des Konzerts hatte ein wenig den Charakter eines Aufwärmprogramms, für die Band wie für das Publikum. Während es allmählich dämmerte und der volle Mond über dem Stadion in die Höhe stieg, nahm die Intensität der Veranstaltung zu und brach bis zuletzt nicht mehr ab. Alles war da, der Zylinder, die Doppelhalsgitarre und das um die Hüfte des Sängers gewickelte Karohemd. Seit den besten Tagen der Band sind fast drei Jahrzehnte vergangen, nun stehen sie wieder da, auf der Bühne im vollen Zürcher Letzigrund und es fühlte sich fast an wie einst. Die Posen und die Gitarrensoli sind wie damals, als die Jungs aus Los Angeles für einen Moment die grösste Rockband der Welt waren. Über 25 Songs spielten GnR an diesem Mittwochabend, darunter alle grossen Hits, angefangen bei “Welcome To The Jungle” über “You Could Be Mine” zu der Ballade “November Rain” bis hin zum grossen Finale mit “Paradise City”. Ins Set mischte die Band aber auch einige Songs von dem 2008 erschienenen, letzten Guns N’ Roses-Album “Chinese Democracy”. Nebst eigenen Songs spielten GnR auch zahlreiche Covers, darunter “Black Hole Sun” in Gedenken an den kürzlich verstorbenen Soundgarden-Frontmann Chris Cornell.
Duff McKagan sieht richtig gut und gesund aus, was man von ihm in der Vergangenheit nicht so kannte. Bei Axl Rose beeindruckte, wie gut seine in tiefen Lagen kratzende, in hohen Lagen scheuernde Stimme hielt. Und Slashs Soli sind eh episch. Sie zitierten Chuck Berry, die Filmmusik von “The Godfather” und Pink Floyd und kamen selbst dann noch nicht an ihr Ende. Das Konzert dauerte über zweieinhalb Stunden, liess keinen Hit aus und bot trotzdem auch ein paar weniger bekannte Nummern. Slash behielt seine Brille den ganzen Abend auf, wechselte aber die Gitarre bei jedem Song und erfüllte, was man von ihm erwartete. Das berühmte Gitarrenriff von “Sweet Child O’ Mine” kam aber leider ohne die funkelnde Eleganz des Originals und das ausladende Solo in “November Rain” klang irgendwie leer. Ähnliches gilt für die ganze Band. Dass Richard Fortus eigentlich besser Gitarre spielt als Slash, interessiert auch niemanden, weil er nicht Slash ist. Für dass eine Reunion des Kerns über 20 Jahre lang undenkbar schien und bei jeder Gelegenheit auf Lebzeiten ausgeschlossen wurde, war das Dargebotene aber grossartig. GnR ist in dieser Besetzung keine Gruppe von alten Freunden, sondern ein Haufen zerstrittener Sturköpfe, die sich des Geldes wegen und Dank einer gewissen Altersweisheit zusammengerauft haben und diese Rolle absolut professionell spielen. Wer da Lust oder Leidenschaft erwartete, war definitiv am falschen Ort.
So sinkt im Verlauf des Konzerts allmählich die Freude über die Rückkehr der Band. Axl wechselte Lederjacken, Shirts und Hüte mehr, als es vermutlich Lady Gaga oder Madonna je getan haben, Mega-Oversize-Ringe funkeln an seinen Händen und als er die Sonnenbrille ablegt, zeigt sich, dass er Kajal trägt. Dass es Axl auch mit über 50 Jahren immer noch drauf hat, hat er bei seinem Gastspiel als Sänger von AC/DC bereits letzten Sommer eindrücklich bewiesen. Für die 120 Franken Eintritt müssen auch Rocklegenden wie Guns N’ Roses mehr bieten als nur Musik und so leuchteten Totenschädel, Graffiti, Rauch und Rockstars in Überlebensgrösse auf drei riesigen Screens und immer wieder knallte das Feuerwerk. Für das Material braucht es 24 Trucks, die direkt neben dem Stadion parkiert waren. Mammut-Tour und ein paar Wohlstandskilos zum Trotz sind die Herren in Topform. Axl sprintet rum, flucht so oft er kann und zeigte bereits im ersten Song den Mittelfinger. Slash kann noch immer tief in die Knie gehen und spielt seine Soli am vordersten Rand der Bühne, in jedem Song und minutenlang, was Axl für kurze Verschnaufspausen und besagte Kleiderwechsel nutzte.
Guns N’ Roses spielten wuchtig, aber ohne Leidenschaft. Sie spielten lange, aber ohne Lust. Doch GnR erreichen auch einen beeindruckenden Moment der Grösse, als sie “Black Hole Sun” von Soundgarden spielten. Sie erinnerten damit an den Sänger dieser Band, Chris Cornell, der sich kürzlich das Leben nahm und sie erinnerten an die Jahre von 1992 bis 1994, als sie von Grunge-Bands wie Soundgarden von der Hauptbühne gefegt wurden. Sie tun es als Veteranen, als Überlebende des Rochbusiness, die der Toten gedenken. Chuck Berry, Chris Cornell, aber auch Prince, Gregg Allman, Pink Floyd und AC/DC, sie alle wurden in der einen oder anderen Weise mit einer Coverversion geehrt. Guns N’ Roses haben vor 25 Jahren den Moment dominiert und diesen fachgerecht verschwendet. Doch die Illusion ist aufgebraucht. Heute scheinen sie sich als Teil der Geschichte zu akzeptieren, als eine historische Band. An diesem Abend konnte man für viel Geld nochmals in die 90er eintauchen. Wie es damals war, weiss man ja auch nicht mehr genau – so viel wurde verklärt. Dennoch eine schöne Zeitreise in die Vergangenheit, in welcher die Mittfünfziger ein markiges Stück Rockgeschichte wiederaufleben liessen und einen offensichtlich vorhandenen Appetit auf Rekonstruktion bedienten.
Setlist:
Looney Tunes
The Equalizer (Harry Gregson-Williams Song)
- It’s So Easy
- Mr. Brownstone
- Chinese Democracy
- Welcome to the Jungle
- Double Talkin’ Jive
- Better
- Estranged
- Live and Let Die (Wings Cover)
- Rocket Queen
- You Could Be Mine
- New Rose (The Damned Cover)
- This I Love
- Civil War (“Voodoo Child” Outro)
- Black Hole Sun (Soundgarden Cover)
- Coma
- Slash Guitar Solo
- Speak Softly Love (Love Theme From The Godfather, Nino Rota Cover)
- Sweet Child O’ Mine
- My Michelle
- Wish You Were Here (Pink Floyd Cover, Slash & Richard Fortus Guitar Duet)
- November Rain (“Layla” Piano Exit Intro with Axl Rose playing Grand Piano)
- Knockin’ on Heaven’s Door (Bob Dylan Cover, “Only Women Bleed” Intro)
- Nightrain
- Don’t Cry (The Allman Brothers Band “Melissa” Intro)
- Whole Lotta Rosie (AC/DC Cover)
- Paradise City
Encore:
You Know My Name (Chris Cornell Song)
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