Rammstein gaben am 5. Juni im ausverkauften Berner Stade de Suisse das vierte Konzert ihrer Europatournee und boten ihren Fans mal wieder ein Heidenspektakel. Provokation gehört zu Rammstein wie das rollende R und auch dieses Mal wurde nicht an Pyro, Feuer und weiteren beeindruckenden Showeinlagen gespart. Alles perfekt durchgestylt, irgendwie aalglatt und dazu passte auch der unerwarteten prominente Besuch. Sind Deutschlands böse Buben weich geworden?
Rammstein sind längst nicht nur brachial – provokativ ist äusserst erfolgreich und damit lässt sich jede Menge Geld verdienen. Doch was macht die Skandalmusiker, die es mit ihrer neuen Platte gleich in 14 Ländern auf Platz 1 geschafft haben, so erfolgreich? Bereits bei der Wahl ihres Bandnamens bewiesen Rammstein ihren Hang zum Geschmacklosen. Die Band wurde 1994 in Berlin gegründet und benannte sich nach der Ramstein Air Base. Der US-amerikanische Militärflugplatz erlangte im August 1988 traurige Berühmtheit, als bei einer Flugschau drei Jets miteinander kollidierten und 70 Menschen ums Leben kamen. Im Jahr 2004 singen Rammstein im Lied «Mein Teil» über die horrenden Taten von Armin Meiwes, dem «Kannibalen von Rotenburg». Das Video zum Song «Pussy» wurde 2009 in einem Berliner Bordell gedreht und zeigt die Bandmitglieder, respektive ihre Körperdoubles, beim Sex. Bis heute ist der Clip nur auf Pornoseiten in voller Länge zu sehen.
Das rollende R von Frontmann Till Lindemann (56) sorgte schon früh für Nazi-Vorwürfe, die ihren Höhepunkt 1998 erreichten. Damals verwendete die Band im Musikvideo zu «Stripped» NS-Propaganda-Aufnahmen von Leni Riefenstahl und so wurde der Song von den Musiksendern boykottiert und nicht gespielt. Vor einigen Wochen sorgten die Rocker erneut für Empörung, weil der Clip zur Single «Deutschland» die Musiker als KZ-Häftlinge zeigt. Rammstein selbst distanzieren sich von faschistischem Gedankengut. Till Lindemann war in seiner Jugend in der ehemaligen DDR ein erfolgreicher Schwimmer. Bei der Junioren-EM im Jahr 1978 erreichte er den siebten Platz und hätte zwei Jahre darauf bei den Olympischen Spielen teilnehmen sollen. Da er sich aber bei der EM in Rom heimlich aus dem Hotel geschlichen hatte, wurde ihm die Olympia-Teilnahme nicht gestattet. Lindemanns Vater war der bekannte DDR-Poet Werner Lindemann (1926-1993).
Der Grund für den Erfolg der Gruppe ist nicht nur ihre Musik, sondern auch ihre spektakuläre Bühnenshow. Rammstein-Konzerte sind ein wahres Feuerwerk an Pyrotechnik, für das Sänger Till Lindemann persönlich verantwortlich ist, denn seit 1996 ist er ausgebildeter Pyrotechniker. Lindemann & Co. reisen mit einer Riesen-Entourage durch Europa. 74 Lastwagen, einen ganzen Lastwagen alleine für Pyros, zwei fürs Catering – und die harten Jungs haben sogar ihre eigenen Köche dabei. Rammstein gehört zu den erfolgreichsten Kulturexporten Deutschlands. Bis Anfang 2018 gingen 20 Millionen Tonträger der Band über die Ladentheke. Doch was hat man aber bei einem Rammstein-Konzert zu erwarten? Kurz gesagt Spektakel, Skandal, Ulk, Feuer und vor allem Krach! Die wohl erfolgreichste deutsche Rockband bietet im Stade de Suisse, was man von ihr erwartet. Manchmal spürt man vor lauter Vollgas aber die Geschwindigkeit gar nicht mehr und der Ulk bleibt dieses Jahr komplett auf der Strecke.
Der Preis für die personalisierten Tickets, die eingesetzt wurden, um dem Schwarzmarkt die Zähne zu ziehen, war übrigens stundenlanges anstehen rund um das Stade de Suisse. Wer warten musste, hat an der Vorband nichts verpasst, denn zuerst kam das Pianistenduo Jatekok aus Frankreich zum Zug, die das Publikum einstimmen sollten. Die klassischen Pianistinnen Adélaïde Panaget und Naïri Badal spielten Stücke aus dem Album «Rammstein – XXI – Klavier». Allerdings schlief mir beinahe das Gesicht ein, die zwei sind zwar gut, aber leider zum gäääähnen! Punkt 20.15 Uhr ging es dann mit einem heftigen Knall los, dunkle Nebelschwaden zogen über das Berner Stade de Suisse und da sind sie: Frontmann Till Lindemann in einem Silber-Outfit, Keyboarder Christian Lorenz in glitzerndem Gold, Schlagzeuger Christoph Schneider mit nacktem Oberkörper, dazu noch die Gitarristen Paul Landers, Oliver Riedel und Richard Kruspe. Gleich vom ersten Song weg gab es eine Feuershow, wie man sie noch selten gesehen hat – und doch sind eingefleischte Fans von Rammstein mehr gewohnt. Begonnen wurde das Konzert vor den knapp 44’000 Fans mit dem Track «Was ich liebe» aus dem neuen Album. Leider war der Bass so heftig, dass einem der Bierbecher von selbt in der Hand drehte.
Was die Band produziert, durchdringt Mark und Bein. Der Körper vibriert mit und man nimmt sogar seine inneren Organe wahr, denn auch sie vibrieren zum Beat. Dazu Nebel, Lichtstrahler und immer wieder Feuer auf der Bühne und im Stade verteilt. Feuersäulen, die perfekt zum Rhythmus hochsprühen, so präzise gestaltet und gesteuert, dass sie wie wunderschöne Skulpturen wirken, die in weniger als einer Sekunde schon wieder verschwunden sind. In gewohnt martialischer Art geht es mit «Links, 2, 3, 4» weiter. Ein weiterer recht musikalischer, gar poppiger Song. Bis es das nächste Mal kräftig rumst, donnert und raucht, vergehen über 15 Minuten. Das mag kurz erscheinen, aber für rammsteinsche Verhältnisse ist dies fast schon als Feuerpause zu deuten. Ein erstes wirkliches Highlight ist «Zeig dich», in dem der Missbrauch in der Kirche angeklagt wird und Till schickt ein wütendes «Zeig dich» in den Himmel, um den Gott zu rufen, in dessen Namen dies alles geschehe. Sollte dieser zufällig gerade oberhalb der Region Bern gewesen sein, dürfte er es gehört haben, denn es war laut und ziemlich heiss. Geantwortet hat er jedenfalls nicht.
«Deutschland», das in der Videoversion 2000 Jahre deutscher (Kriegs-)Geschichte aufwendig abbildet, wird hier auf der abgedunkelten Bühne eher schlicht inszeniert. Die Bandmitglieder tragen beleuchtete Kostüme, die sie wie Strichmännchen erscheinen lassen. Beim Song «Puppe», wo es heisst: «Dann reiss› ich der Puppe den Kopf ab», schiesst Lindemann mit einem Flammenwerfer auf einen riesigen Kinderwagen und setzt ihn in Flammen. Bei «Mein Teil» sitzt Christian Lorenz in einem Suppentopf und wird dort buchstäblich gekocht. Das Lied «Diamant» wird ganz ohne Licht, Knaller, Feuer oder andere Effekte gesungen. Bei «Ohne dich» leuchten Zehntausende Feuerzeuge in der Arena, sie wurden jedem Besucher beim Einlass mitgegeben. Irgendwann verbeugen sich die Bandmitglieder vor dem Publikum. Das kann aber doch nicht das Ende sein?! Ist es auch nicht. Nach ein paar Minuten tauchen die sechs Bandmitglieder zusammen mit dem Duo Jatekok auf einer gehobenen Plattform mitten im Stadion auf und spielen zusammen «Engel», der erste kommerzielle Hit der Band aus dem Jahr 1997. Dann steigen die Musiker einzeln in Schlauchboote, eins für jeden und werden vom Publikum auf Händen zurück zur Bühne befördert. Die Zugaben machen einen erheblichen Teil der Show aus, bevor Lindemann mit einer Kanone Seifenblasen auf das Publikum schiesst und die Bandmitglieder in einem Aufzug nach oben fahren. Dann ein weiterer Knall. Nach zweieinhalb Stunden ist die Show dann eindeutig vorbei.
Leider verpufften viele der kräftig rausgeschleuderten Töne irgendwo im Stadionrund. Es wurde zwar kräftig angefeuert, aber die Flammen wollen trotzdem nicht richtig lodern. Rammsteins Werke, obwohl stilistisch nicht sehr unterschiedlich, enthalten bezirzende Melodien und Harmonien, die ins Herz gehen. Doch irgendwie kamen diese am Mittwochabend beim Publikum nicht an. Rammsteins Werke haben oft epische Grösse. Die Themen, die sie setzen, bilden das Leben ab, so wie es ist, auch wenn hier das Dunkle und Verstörende weitaus deutlicher als bei anderen Bands der so genannten «Neuen Deutschen Härte» zum Vorschein kommt. Die Band spielt mit Klischees, führt sie dem Publikum vor, werden manchmal missverstanden, regen Debatten an – und gefallen oder missfallen auf verschiedenen Ebenen. Kunst halt. Rammstein sind tatsächlich zu einer riesigen Kunstperformance geworden – die längst nur noch fundamentalistische Christen und Kleingarten-Spiesser mit mit Stock im Arsch zu schockieren vermag, dem Mainstream zur Belustigung dient, so dass selbst eine Francine Jordi mit Präsenz zu glänzen vermochte. Irgendwie vermisste man manchmal den Humor und den Schalk der sechs Musiker, den man früher auch unter ihren Kostümen oft gespürt hat. Wars gut? Ja. Wars nachhaltig? Nein. Macht das etwas?
Setlist
- Was ich liebe
- Links 2-3-4
- Tattoo
- Sehnsucht
- Zeig dich
- Mein Herz brennt
- Puppe
- Heirate mich
- Diamant
- Deutschland (Remix by Richard Z. Kruspe)
- Deutschland
- Radio
- Mein Teil
- Du hast
- Sonne
- Ohne dich
- Engel (Scala & Kolacny Brothers)
- Ausländer
- Du riechst so gut
- Pussy
- Rammstein
- Ich will
B-Stage
Zugabe
Zugabe 2
[rwp_box id=»0″]
(Bilder via Facebook)