Bern, die Stadt der stillen Heuchelei und der sanft gepflegten Doppelmoral. Jahrzehntelang hat man sie gehegt, gestreichelt, wie ein ideologisches Haustier, das man zwar stinken riecht, aber aus Gewohnheit nicht rausschmeisst: Die linksextreme Szene. Ein bisschen Krawall hier, ein paar Schmierereien da – alles im Namen der guten Sache, versteht sich. Doch wehe, ein paar Trychler wagen es, mit Kuhglocken und Grundgesetz in den Händen durch die Gassen zu ziehen – dann wird der Rechtsstaat plötzlich wieder hellwach, greift zu Helmen, Schildern und Bussgeldern. Ordnung muss schliesslich sein. Aber bitte selektiv.

Und jetzt, wo Bern aussieht wie nach einem verunglückten Casting für Mad Max: Eidgenossen Edition, da ist das Geschrei gross. Scheiben kaputt, Polizisten verletzt, Millionen futsch – und alle so: Oh, das konnten wir ja wirklich nicht ahnen! Dabei stand’s mit Neonfarben an jeder Hauswand: Wer mit einer «wohlwollenden Prüfung» eine Demo genehmigt, deren Teilnehmerliste liest wie das Gästebuch eines autonomen Kulturzentrums, darf sich hinterher nicht wundern, wenn Pflastersteine fliegen.

Herr von Graffenried, unser grüner Friedensengel im Amt des Sicherheitsdirektors, scheint davon überrascht zu sein, dass Gewalt nicht nur ein rechter Exportschlager ist. Naivität nennen es die einen. Politische Verwahrlosung, die anderen. Aber er bleibt standhaft: Er habe die Demo nicht verbieten können – rein rechtlich. Und natürlich könne die Polizei auch nicht wissen, ob jemand zur Migros oder zur Barrikade läuft. Klar. Wer schon mal ein Transparent und eine Einkaufstasche verwechselt hat, weiss, wie leicht das passiert.

Wenn Ideologie wichtiger ist als Sicherheit: Wenn Trychler verprügelt und Chaoten verhätschelt werden

Und dann, wenn man glaubt, die Satire hätte sich selbst überholt, taucht Reto «Ba»-Nause wieder auf. Der Mann, der einst mit eiserner Hand über Berns Sicherheit wachte, fordert nun die Überwachung der Linksextremen – also jener Gruppe, die unter seiner Ägide bequem Wurzeln schlagen konnte. 16 Jahre im Amt, aber jetzt plötzlich entsetzt, dass die Saat aufgegangen ist? Herzlichen Glückwunsch, Reto, Sie sind Vater geworden – von genau dem Monster, das Sie jahrelang gefüttert haben.

Die Empörung klingt so echt, dass man fast vergisst, dass Nause selbst Teil des Problems war. Er war es, der friedliche Demonstranten – Trychler, Massnahmenkritiker, Grundgesetz-Schwenker – als Sicherheitsrisiko einstufte und mit Tränengas, Schlagstock und Einsatzhund begrüsste. Jetzt ruft derselbe Mann nach schärferem Nachrichtendienstgesetz, nach mehr Überwachung, mehr Abhören. Vielleicht, weil er weiss, dass Kontrolle einfacher ist als Konsequenz.

Aber das Spiel läuft weiter: Die politische Linke empört sich über Gewalt, die sie jahrzehntelang ignorierte oder als «Akt des Widerstands» romantisierte. Die politische Mitte tut überrascht, dass sich ihr moralisches Wunschkonzert in einen Feueralarm verwandelt hat. Und die Rechte reibt sich die Hände, weil sie endlich mal nicht die Bösen sind – zumindest bis zur nächsten Bauernkundgebung.

Philippe Müller, der neue Sicherheitsdirektor des Kantons, versucht nun, die Trümmer mit einem Besen zusammenzufegen, der längst keine Borsten mehr hat. Er will die Antifa verbieten, härtere Strafen, längere Haft. Klingt gut. Wird nichts ändern. Denn solange man den institutionellen Reflex pflegt, linke Gewalt als «gesellschaftliche Verirrung» zu verharmlosen, bleibt das System blind auf dem linken Auge und greift rechts zu, als hinge der Staat von der Richtung der Faust ab.

Und irgendwo in all dem Chaos steht der Nachrichtendienst, Hände in den Taschen, murmelnd, man habe «aus Sicherheitsüberlegungen» auf Massnahmen verzichtet. Sicherheitsüberlegungen – welch köstlicher Euphemismus! Übersetzt heisst das: «Wir hatten Angst vor Twitter-Shitstorms.» Oder vor der linken Parteibasis. Oder davor, dass man am nächsten feministischen Filmfestival keine Einladung mehr bekommt.

Das Resultat ist ein politisch gezüchtetes Biotop aus Doppelmoral, Angst und bequemer Blindheit. Eine Stadtregierung, die Krawalle nicht verhindern will, weil sie den Preis der Empörung scheut. Ein Sicherheitsapparat, der lieber Demonstranten katalogisiert als Probleme löst. Und ein ehemaliger Sicherheitsdirektor, der plötzlich die Rolle des Feuerwehrmanns übernimmt – nachdem er selbst jahrelang das Benzin verteilt hat.

Was bleibt? Ein Haufen Scherben, ein paar zerbeulte Polizistenhelme und ein kollektives Schulterzucken. Die Bürger zahlen, die Politiker reden und die Medien schreiben Leitartikel mit dem Tenor: «Wir müssen verstehen, was diese Jugendlichen antreibt.» Vielleicht den Drang, mal wieder ungestraft etwas kaputtzumachen.

Bern ist damit zum Sinnbild einer Schweiz geworden, die glaubt, man könne Rechtsstaat und Ideologie im selben Boot fahren – und wundert sich, wenn das Boot Schlagseite hat. Wer jahrzehntelang «Toleranz» mit «Tatenlosigkeit» verwechselt, darf sich nicht wundern, wenn die, denen man freie Bahn liess, plötzlich das Steuer übernehmen. Und während die Polizei die letzten Pflastersteine zusammenkehrt, läutet irgendwo ein Trychler. Friedlich. Und wahrscheinlich wieder als einziger Verbrecher weit und breit.


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