Herzlichen Glückwunsch. Du hast ein Auto gekauft. Vielleicht hast du sogar die Premiumausstattung gewählt – mit Sprachsteuerung, Cloud-Synchronisierung und beheizbaren Becherhaltern, die die Temperatur deines Latte kennen, bevor du es tust. Du setzt dich hinters Steuer und fühlst dich wie der Herr deiner kleinen Welt. Der Sitz schmiegt sich an, die Türen schliessen mit einem befriedigenden Klack und du verschwindest in der heiligen Privatsphäre des Fahrersitzes.
Nur, dass du kein Auto gekauft hast. Du hast eine Überwachungskapsel geleast. Kein Handy, keine Privatsphäre? Hier kommen die paranoiden Minimalisten ins Spiel. Sie prahlen: «Ich koppel mein Handy nicht. Ich nutze nicht mal Bluetooth. Mein Auto ist einfach nur ein Auto.» Aber in modernen Fahrzeugen ist dein Handy nur die Vorspeise. Das Überwachungsmenü geht weiter – mit oder ohne deine Zustimmung.
Sensoren, von denen du nichts wusstest
Ein heutiges Auto enthält über 100 Sensoren. Was früher ein Sitz und ein Lenkrad waren, ist heute ein rollendes biometrisches Labor mit Silizium-Spionen. Dein Auto sammelt:
- GPS-Daten jeder Route
- dein Fahrverhalten: Bremsen, Gasgeben, Ausweichen
- Kamerabilder: aussen wie innen (auch Gesichtserkennung)
- Mikrofonaufnahmen: «Sprachsteuerung» heisst das Mikro ist auf Daueraufnahme
- Biometrie: Gewicht, Haltung, Blickrichtung
- Kabinenaktivität: wie viele Insassen, wie sie sich bewegen
Wozu? «Zur Sicherheit». Tatsächlich: Monetarisierung.
- Versicherungen nutzen Fahrverhalten für Prämien
- Werber verfolgen Bewegungsprofile
- Polizei fordert Standort- oder Audioaufzeichnungen an
- Datenbroker sammeln, «anonymisieren» und verkaufen
Anders als Finanz- oder Gesundheitsdaten sind Fahrzeugdaten kaum gesetzlich geschützt. Keine Offenlegungspflicht. Keine klare Rechtslage. Nur PR-Gesülze.
Immer an, nie transparent
Kannst du das alles ausschalten? Meist nicht. Zumindest nicht ohne Vorschlaghammer. Selbst bei deaktivierten Diensten senden manche Autos weiter Daten über fest verbaute SIM-Karten. Manche Systeme bieten «Connected Services» oder «Remote Diagnostics». Sie klingen harmlos. Doch sie sind legale Schlupflöcher für Echtzeitüberwachung. Selbst wenn du auf «AUS» stellst, bleibt oft eine Datenpipeline aktiv. Keine Warnungen, keine Kontrollpunkte, kein grünes Licht wie beim Handy, wenn das Mikro läuft. Die Kamera im Auto? Keine Einstellung namens «Bitte nicht mein Gesicht filmen».
Die biometrische Grenze
Nun wird es gruselig: Dein Auto interessiert sich nicht nur für deine Route – sondern auch für deine Emotionen.
Beispiele:
- Blickverfolgung (Eye Tracking): misst Aufmerksamkeit, Blickrichtung
- Bewegungserkennung: analysiert deine Stimmung
- Herzfrequenz: über das Lenkrad erfasst
- Beifahrererkennung: Sensoren erfassen Position, Gurtstatus, Altersschätzungen
Was passiert mit diesen Profilen? Wer speichert sie? Wer besitzt sie?
Antwort: Unklar. Und das ist gewollt.
Die neue Normalität?
Viele Menschen zucken mit den Schultern. «Smart» bedeutet heute: «Spitzel».
GM: Datenhandel im Verborgenen
OnStar – der Dienst von General Motors – sammelte jahrelang heimlich Daten: Bremsverhalten, Geschwindigkeit, Zeitpunkte, Musikwahl – und verkaufte sie an Datenbroker. Fahrer erfuhren es erst durch Klagen. Texas verklagte GM: über 14 Millionen Fahrzeuge seien ohne Einwilligung zu Datenstaubsaugern gemacht worden.
VW: 800’000 Fahrzeuge in Echtzeit geleakt
2024: Ein Datenleck bei VW, Audi, Skoda, Seat. Standortdaten, E-Mails, Telefonnummern – öffentlich einsehbar. Die Sicherheitslücke bestand monatelang.
Tesla: Kameraaufnahmen als Bürobelustigung
2023: Whistleblower berichten, dass Tesla-Mitarbeiter auf Kundenvideos zugreifen und sie intern teilen – z. B. Aufnahmen von Menschen, die nackt durch Garagen laufen. Kein Schutz, keine Regeln, keine Transparenz.
Kia: Versicherungsprofile ohne Info
Kia sammelte Fahrverhaltensdaten – Bremsen, Nachtfahrten, Kurzstrecken – und leitete sie ohne Zustimmung an Versicherer weiter. Ergebnis: Prämienerhöhungen ohne Vorwarnung.
Mozilla: Autoindustrie ist Datenschutz-Katastrophe
Mozilla prüfte 2024 die Datenschutzpraxis von Autoherstellern:
- 84 % teilen Daten mit Dritten
- 76 % verkaufen Daten weiter
- 0 % erfüllen grundlegende Datenschutzanforderungen
- Nur Renault und Dacia bieten Löschrechte
Fazit: Autos sind laut Mozilla die «schlimmste Produktkategorie» für Privatsphäre – schlimmer als Smart-TVs, Fitness-Tracker oder Smartphones.
Mehr als nur Metadaten
Kombiniert mit externen Daten (z.B. Telefonnummern, Kredithistorie, Streaming-Nutzung) entstehen glasklare Verhaltensprofile:
- Wohnort, Einkaufsgewohnheiten, emotionale Zustände
- GPS plus Mikrofondaten ergibt psychologisches Risikoprofil
- Sprachanalyse erkennt Streit – Empfehlung: Versicherungsaufschlag
Wie du dich wehren kannst
- Handy nie direkt anschliessen: Nutze Bluetooth im Audio-Modus oder ein separates Gerät ohne persönliche Inhalte.
- Fahrzeugdatenzugriff deaktivieren: Suche in den Systemeinstellungen nach «Connected Services», «Telematics», «Remote Access» – und schalten sie ab.
- Vor Verkauf oder Rückgabe Daten löschen: Werkseinstellungen zurücksetzen, Geräte entkoppeln, Konten abmelden.
- «Burner»-Technik nutzen: Günstige Geräte für Musik und Karten nutzen – ohne Kontakte, Nachrichten oder Logins.
- Transparenz fordern: Stelle Fragen beim Händler. Lies die Datenschutzrichtlinie. Unterstütze Datenschutzgesetze. Mache in Foren und Netzwerken Druck.
Ausblick
Dein Auto ist keine neutrale Maschine mehr. Es ist ein rollendes Überwachungssystem. Du kannst es nicht ganz stoppen. Aber verlangsamen. Und Hersteller zwingen, nicht mehr heimlich zu spionieren. Es sind deine Daten. Du solltest mitfahren. Nicht verkauft werden.

(via Reclaim the Net)

«Dravens Tales from the Crypt» bezaubert seit über 15 Jahren mit einer geschmacklosen Mischung aus Humor, seriösem Journalismus – aus aktuellem Anlass und unausgewogener Berichterstattung der Presse Politik – und Zombies, garniert mit jeder Menge Kunst, Entertainment und Punkrock. Draven hat aus seinem Hobby eine beliebte Marke gemacht, welche sich nicht einordnen lässt.







