Die Schweiz soll digital unabhängig werden. So zumindest die PR-Poesie von Marc Walder, CEO des Ringier-Konzerns und Gründungsvater von Digital Switzerland. Auf dem Bürgenstock marschierte die Elite von Politik, Wirtschaft und Tech gemeinsam auf, um die E-ID als den goldenen Schlüssel zur digitalen Zukunft zu inszenieren.
Unabhängigkeit klingt natürlich sexy – gerade für ein Land, das seine Neutralität gern wie einen Gebetsmantel vor sich herträgt. Doch ausgerechnet Walder, der sich als Messias der digitalen Selbstbestimmung inszeniert, kuschelt seit 2018 mit Palantir – jenem US-Datenkraken, der eng mit Geheimdiensten verbandelt ist und global Überwachungsprojekte befeuert. Die Schweiz will digital souverän sein – während ihr angeblicher Vordenker sein Herz längst im Silicon Valley versetzt hat. Ein Widerspruch? Ach was.
Non-Profit? Aber bitte mit Profit
Natürlich heisst das Vehikel «Non-Profit». Klingt nach Neutralität, Gemeinwohl und Aufklärung. In Wahrheit ist es ein privatwirtschaftlich gespicktes Netzwerk, das Politikern charmant ins Ohr flüstert, wie die Zukunft auszusehen habe. Und wenn zufällig ein Medienkonzern dabei direkt profitiert? Nun ja, wäre ja schade, das nicht mitzunehmen.
Kritiker sehen in Walder eine Doppelrolle, die an Glaubwürdigkeit kratzt: Journalist, CEO und gleichzeitig Lobbyist. Aber hey – wenn die Medien gleich selber mitreden, spart man sich wenigstens die Mühe, unbequeme Fragen zu stellen.
Dystopie oder Bedienungsanleitung?
Währenddessen liefert Olivier Kessler die literarische Version dieses Albtraums. In seinem Roman Befreiungsschlag erleben wir Zürich im Jahr 2048. Hauptfigur Mike ist degradiert im Sozialkreditsystem: kein Fleisch mehr, kein Auto, nur Tram und ein virtueller Tritt in den Hintern, wenn er aufmuckt. Strafen? Direkt per Mausklick vom Konto abgebucht. Einfacher geht’s nicht.
Natürlich alles nur «zum Wohle aller». Zum Schutz des Klimas, zur Förderung des sozialen Friedens, zum Aufbau einer gerechteren Welt. Man könnte es fast für eine Satire halten – wenn es nicht in China längst Realität wäre. Sozialkreditsysteme dort überwachen, bewerten und sanktionieren schon heute ganze Bevölkerungen. Die Schweiz diskutiert also nicht über eine Fantasie – sie diskutiert, wie schnell sie in dieselbe Richtung marschieren möchte.
15-Minuten-Städte: Das Gitter aus Wohlfühl-Beton
Ein besonders hübsches Detail im Roman: die «15-Minuten-Städte». Ein Konzept, das angeblich urbane Lebensqualität steigern soll – alles, was man braucht, in 15 Minuten erreichbar. Klingt modern, klingt ökologisch. In Kesslers Version allerdings endet das Ganze in einem gigantischen Käfig. Bürger sind brav eingepfercht, denn wer weniger Raum beansprucht, hat auch einen kleineren ökologischen Fussabdruck. Praktisch, nicht? So spart man sich gleich die Mühe, Freiheitsrechte zu verwalten.
E-ID: Vom Login zur Fussfessel
Allen Sozialkreditsystemen ist eines gemeinsam: Sie brauchen ein Fundament. Und dieses Fundament ist die elektronische Identität. Ohne E-ID keine lückenlose Erfassung, kein perfektes Matching von Konsum, Bewegung und Verhalten. Heute ein bequemer Login, morgen der Grundstein für das totale Bürgerdossier.
Walder und Konsorten verkaufen die E-ID als Fortschritt, als Effizienzsteigerung, als sichere digitale Eintrittskarte in die Zukunft. In Wahrheit ist sie nichts anderes als der erste Schritt in ein digitale Fessel, die so sanft daherkommt, dass man sie sich fast freiwillig anlegt.
CBDC: Dein Konto auf Knopfdruck gelöscht
Das nächste Zahnrad in diesem Mechanismus: digitale Zentralbankwährungen (CBDC). Offiziell sollen sie Geldtransfers effizienter machen. Inoffiziell geben sie Regierungen einen roten Knopf in die Hand, mit dem sich dein Konto in Sekunden einfrieren, abwerten oder löschen lässt. Im Kessler-Universum Realität, in China längst gelebter Alltag – und in Europa bereits im Testlauf.
Vom Bürger zum QR-Code
Kombiniert man E-ID, CBDC und Social Scoring, bleibt vom Bürger nicht mehr viel übrig. Du bist ein wandelnder QR-Code mit eingebautem Kill-Switch. Deine Meinung? Gefährlich. Dein Einkaufszettel? Verdächtig. Dein Bewegungsradius? Überwachbar. Und wenn du den falschen Link klickst oder ein unpassendes Meme teilst, kann man dich ganz elegant in die digitale Unsichtbarkeit schicken.
Sicherheit frisst Freiheit – immer
Die Blaupause für dieses System steht in China, und Europa schaut fasziniert zu. Jeder Schritt wird als «Sicherheit» verkauft. Ein Ausweis hier, ein Zahlungsmittel da, ein Bewertungssystem zum Schutz vor Kriminalität. Am Ende bleibt nur Stille – die Ruhe eines digital gleichgeschalteten Volks.
«Ich hab ja nichts zu verbergen» – der dümmste Satz der Moderne
Viele beruhigen sich mit dem Klassiker: «Ich habe doch nichts zu verbergen.» Ein Satz so naiv, dass man ihn am liebsten in Stein meisseln möchte – direkt über den Eingangstoren zum neuen Digitalgefängnis. Denn es geht nicht um das, was du heute zu verbergen hättest. Es geht darum, dass irgendwann jemand entscheidet, dass genau dein Verhalten morgen untragbar ist.
Heute geht es um Klima und Gesundheit. Morgen vielleicht um Fleischkonsum, übermorgen um politische Ansichten. In einem System, das Strafen automatisiert und Geldstrafen per Mausklick verteilt, braucht es keinen Richter mehr. Nur noch einen Algorithmus, der dich ausknipst.
Der Komfort-Knast hat WLAN, aber keinen Ausgang
Die Verfechter der E-ID schwärmen von Effizienz und schlanker Verwaltung. In Wahrheit bauen sie einen Käfig mit Samtpolsterung. Alles fühlt sich bequem an, solange man nicht versucht, die Tür zu öffnen.
Und das Beste: Man muss nicht einmal mehr Bürgerrechte entziehen. Man lässt die Menschen ihre digitale Fessel einfach selbst anlegen – im Namen von Sicherheit, Effizienz und Fortschritt.
Fazit: Einmal eingeloggt, nie wieder ausgeloggt
Die Schweiz stimmt in wenigen Wochen über die E-ID ab. Offiziell geht es um Souveränität. Inoffiziell geht es um die Frage, ob wir unsere Freiheit für Bequemlichkeit eintauschen.
Das Resultat dieses Tauschs lässt sich schon heute in einem Satz zusammenfassen: Willkommen im Komfort-Knast. Eintritt frei. Ausgang fraglich.


«Dravens Tales from the Crypt» bezaubert seit über 15 Jahren mit einer geschmacklosen Mischung aus Humor, seriösem Journalismus – aus aktuellem Anlass und unausgewogener Berichterstattung der Presse Politik – und Zombies, garniert mit jeder Menge Kunst, Entertainment und Punkrock. Draven hat aus seinem Hobby eine beliebte Marke gemacht, welche sich nicht einordnen lässt.







