Manchmal fragt man sich, ob das 21. Jahrhundert ein schlechter Cyberpunk-Roman ist, der ohne Lektorat veröffentlicht wurde. Der neueste Plot-Twist: Forschende haben eine interaktive Karte erstellt, die zeigt, wie autoritäre Tech-Netzwerke längst den halben Westen umklammern. Und Überraschung: Sie streben nicht nur nach Profit, sondern nach Macht. Macht über Daten, über Staaten, über Europa.
Das Pentagon hat Palantir einen kleinen Auftrag erteilt. Kleiner Tipp: Wenn «klein» bei den USA auftaucht, reden wir nie von weniger als zehn Milliarden Dollar. Ein Betrag, für den andere Länder versuchen würden, ihre komplette Infrastruktur zu renovieren – während die USA damit lieber einem Unternehmen die Schlüssel zu ihrem digitalen Waffenarsenal überreichen. Einem Unternehmen übrigens, dessen Gründer Peter Thiel sinngemäss erklärt hat: «Demokratie und Freiheit? Puh… schwer kombinierbar.»
Die italienische Ökonomin Francesca Bria hat das Verflechtungen bei Big Tech freundlicherweise entwirrt und nennt das Ergebnis «Authoritarian Stack». Klingt nach einem schlechten Burger, ist aber eine Art totalitäre Werkzeugkiste bestehend aus Cloud, KI, Drohnen, Satelliten und Finanzinfrastruktur. Eine Architektur der Kontrolle. Und nein – nicht staatlicher Kontrolle. Unternehmens-Kontrolle. Vorstandsetagen statt Verfassungen.
Weil Demokratie heutzutage offenbar stört, wenn man sich durchregieren will.
Auf authoritarian-stack.info kann man sich diese Tech-Matrix anschauen. Eine interaktive Grafik zeigt ein liebevoll gepflegtes Geflecht aus Firmen, Fonds, Geheimdienstbuden, politischen Figuren und Militärindustrie. 250 Akteure, tausende Verbindungen und atemberaubende 45 Milliarden US-Dollar, die wie Stromkabel zwischen Konzernen und staatlichen Aufgaben hin- und herfliessen. Es ist wie ein ÖPNV-Plan der Macht – nur dass am Ende jeder Fahrgast in derselben Endstation landet: Totale Abhängigkeit.
Europa, das muss man neidlos sagen, macht wieder das, was es am besten kann: Schlafen. Und während es selig schlummert, wandern zentrale staatliche Aufgaben, Datenströme und Sicherheitsinfrastruktur an Firmen, deren Vorstände lieber CEOs als Bürger haben. Die Forschungsgruppe zeigt auch schön die heimischen Verbindungen: Springer-Chef Döpfner, deutsche Landespolizeien, Rheinmetall – alle brav verkabelt mit dem autoritären Netzwerk.
Und während Europa sich einbildet, technologisch souverän zu sein, läuft eigentlich längst ein viel grösseres Experiment: Die «systematische Auslagerung der europäischen Souveränität an amerikanische Oligarchen», wie Bria es nennt. In Brüssel nennt man das wahrscheinlich «digitale Zukunft». In Wahrheit ist es eher eine stille Kapitulationserklärung und zeigt, wie man Europas Demokratie wie ein ausrangiertes Betriebssystem überschreibt.
Die entscheidende Frage lautet: Bleiben wir ein Kontinent mit politischer Eigenständigkeit – oder werden wir ein Add-On im Geschäftsmodell einiger weniger Tech-Bosse, die Demokratie wie ein ausgedientes Betriebssystem betrachten, das dringend ein Update braucht?


«Dravens Tales from the Crypt» bezaubert seit über 15 Jahren mit einer geschmacklosen Mischung aus Humor, seriösem Journalismus – aus aktuellem Anlass und unausgewogener Berichterstattung der Presse Politik – und Zombies, garniert mit jeder Menge Kunst, Entertainment und Punkrock. Draven hat aus seinem Hobby eine beliebte Marke gemacht, welche sich nicht einordnen lässt.







