Alles taumelt. Die Welt wirkt wie ein Betrunkener auf einer Rasierklinge – überzeugt, er tanze Ballett, während er sich nur selbst zersäbelt. Gratulation, Menschheit: Millionen Jahre Evolution für Selfiesticks, Kriege um fossile Nostalgie und die fixe Idee, dass ein Emoji echte Nähe ersetzt. Fortschritt, aber bitte mit Klimaanlage.
Der Phönix? Romantische Märchenstunde. In der Praxis erstickt der Vogel vermutlich am qualmenden E-Bike-Akku, bevor er «Asche» buchstabieren kann. Das viel beschworene «Neue Reich»? Eher ein planetarisches Einkaufszentrum mit Drehkreuz, Chip-Bezahlimplantat und verpflichtender Tofu-Bratwurst im Sonderangebot. Nachhaltig, versteht sich – vor allem für die Bilanz.
Hallo, Chaos, alter Kumpel. Du schläfst in unseren Köpfen, flüsterst Entscheidungsträgern «alternativlose Wahrheiten» ein und lässt uns als unbezahlte Statisten klatschen, wenn die Preise steigen und Bomben «Stabilität schaffen»“. Danach gibt’s ein Pflaster aufs offene Bein – mit Glück im Corporate-Design.
Das Bittere: Chaos ist ehrlicher als jede Regierungserklärung und jede pastellfarbene «Alles Liebe»-Predigt. Chaos sagt: «Ich fresse dich» – und es hält Wort. Wir stehen nicht am Abgrund. Wir sind längst gesprungen. Kopf voran. Und unten? Kein Trampolin. Beton.
Also warten wir. Wie Kaninchen vor der Schlange, nur mit WLAN. Auf den grossen Knall: Krieg, Blackout, Virus oder einfach den Moment, in dem jemand den Stecker zieht. Währenddessen erklärt man uns, man habe alles im Griff – dieselben Leute, die Frieden mit Raketen und Freiheit mit Überwachung verwechseln.
Vielleicht – und das ist der unangenehme Teil – braucht es den kontrollierten Kontrollverlust. Die Kathedrale der Dummheit: einstürzen. Der Tempel des Konsums: abfackeln. Die vergoldeten Thronsessel der Politik: korrodieren lassen. Erst wenn das Dekor verbrannt ist und nur noch nacktes Überleben übrig bleibt, könnte etwas entstehen, das nicht bloss «Altbau mit neuer Tapete» ist. Kein Rebranding der Gegenwart, sondern echte Aschegeburt.
Vielleicht erinnern wir uns dann daran, dass ein Mensch mehr ist als Steuernummer, KYC-Datensatz und Konsumprofil. Das Hochsehen mehr bringt als Hochscrollen. Dass Beziehung mehr ist als «tippt…».
Vielleicht. Oder wir bleiben, was wir perfektioniert haben: Affen im Anzug, die ihre Bananenschale vergolden und das Ergebnis «Krone» nennen. Wir halten uns für rational, während wir die nächste App installieren, die uns erklärt, wie man atmet. Wir verwechseln Quantität mit Qualität, Likes mit Leben und Compliance mit Moral.
Es ist unsere Zeit, ja. Nur nicht automatisch zu unseren Gunsten. Wer das Märchen vom Phönix hören will, darf es erzählen – aber sollte wenigstens den Feuerlöscher bereithalten. Denn während wir über das «Neue» schwärmen, läuft im Hintergrund schon die nächste A/B-Testkampagne, die aus Trümmern Produktfeatures und aus Ängsten Märkte baut.
Die Alternative? Unsexy, aber nötig: Weniger Pose, mehr Prinzip. Nicht noch ein «Manifest», sondern ein Stoppknopf. Nicht noch ein Dashboard, sondern ein Gewissen. Nicht «zurück zur Normalität», sondern vorwärts zu Anstand. Bis dahin bleibt die Pointe trist: Wir sind nicht Opfer des Chaos – wir sind seine Eventmanager. Und wir schicken pünktlich die Einladung.


«Dravens Tales from the Crypt» bezaubert seit über 15 Jahren mit einer geschmacklosen Mischung aus Humor, seriösem Journalismus – aus aktuellem Anlass und unausgewogener Berichterstattung der Presse Politik – und Zombies, garniert mit jeder Menge Kunst, Entertainment und Punkrock. Draven hat aus seinem Hobby eine beliebte Marke gemacht, welche sich nicht einordnen lässt.







