«Ist das noch Punkrock, wenn euer Lieblingslied in den Charts ist?», fragen Die Ärzte in einem ihrer neuesten Songs und die Antwort wird gleich mit dazu geliefert: «Ich glaube nicht!» Dieser Meinung bin ich auch, doch Die Toten Hosen vermochten dennoch zu überzeugen. Gut möglich, dass Die Ärzte beim Dichten dieser Zeilen an die Fans der Truppe aus Düsseldorf gedacht haben. Und die Frage ist berechtigt! So erfolgreich wie die Band aus Düsseldorf ist derzeit im deutschsprachigen Raum nur noch der Schlager-Graf von Unheilig. Punk lehnte sich vor Urzeiten mal gegen den gesellschaftlichen Konsens auf, doch diese deutschrockige Bierseligkeit, welche die Hosen auf dem Gurten zelebrieren, ist wohl eher eine Art Antithese zum Punk. Ich habe die Hosen schon in den Jahren 1996 und 2002 auf dem Gurten genossen und vielleicht liegt es auch daran, dass die Hosen und ich alt geworden sind, wie singt Campino schon wieder? «Ich bin noch keine sechzig und ich bin auch nicht nah dran.» Tja, von wegen nah dran, bei Campino dauert es noch neun Jahre… bei mir zum Glück noch einiges mehr
«No future – das war gestern, seit dem ist viel passiert», um nochmals den Eingangs erwähnten Song zu zitieren und «das hat so den Coolnessfaktor von einem Gartentraktor» passt auch wieder wie Arsch auf Eimer. Doch kommen wir erst zum zweiten Tag des 30. Gurtenfestivals, dass mit über 20’000 Besuchern ausverkauft war. Auch hier wieder eine kleine parallele zu den Toten Hosen, welche letztes Jahr ihr 30 jähriges bestehen Feiern konnten. Zurück zum Festival, den Tag eröffneten Hoffmaestro aus Schweden mit einer geballten Ladung Ska. Gebändigten Indiepop präsentierten auf der Zeltbühne die Landsmänner von Friska Viljor und ähnlich wechselhaft wie das Konzertprogramm war das Wetter, welches nicht wusste, ob es sich zwischen brütender Wüstenhitze und Regenschauer entscheiden sollte.
Wer dem anbahnenden Regen entgehen wollte, verzog sich unter das Zelt der Zeltbühne, wo die Schweizer Celtic Metal-Band Eluveitie sich mit ihrem Sound deutlich von den bisherigen Acts auf dem Gurten positiv abhebte. Keltische Klänge, Dudelsäcke und urhelvetische Ikonografie lockten eingefleischte Metalheads an, schienen aber den Durchschnitts-Besucher eher zu verwirren. Letztere setzten sich daher doch lieber zu den braven Lunik auf der Waldbühne ab. Sophie Hunger schlägt sich derweil tapfer auf der Hauptbühne und ist sichtlich motiviert. Ein sauberes Konzert, doch der Funke will einfach nicht so recht auf das Publikum überspringen. Vereinzelte Zuschauer schunkeln zu den Big Band-Rythmen mit, aber Hunger kann sie auch mit grössten Anstrengung nicht zu mehr bewegen, denn alles wartet auf Die Toten Hosen.
Dann, endlich, pünktlich wie angesagt um 21:45 Uhr, hissen die Hosen die Flagge auf der Hauptbühne. Frontmann Campino lässt nichts anbrennen und liefert gleich du Beginn eine Riesenshow ab. Bereits beim zweiten Song lässt er sich von seiner «Security» zu den Fans tragen. Das hungrige Publikum grölt begeistert Hits wie «Ballast der Republik», «Bonnie & Clyde» und «Alles aus Liebe» mit. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung und der Frontsänger Campino erzählt uns aus einer Welt, die sich hauptsächlich um Fussball, Gerstensaft, Party und Passivsport zu drehen scheint. Campino, der sich in letzter Zeit ganz gerne auch als Komponist etwas gar plakativer Zusammengehörigkeits-Hymnen («An Tagen wie diesen», «Steh auf, wenn du am Boden bist») hervortut, ist ein geborener Entertainer.
Der Sänger erwähnt, dass er schon in den Jahren 1996 und 2002 auf dem Gurten war und er sich nach eigenen Angaben gut erinnern kann. Auch erinnerte er sich an den April 2012 anlässlich die Band auf der «Magical-Mystery-Tour» ein privates Hosen-Konzert auf einem Berner Dachboden, der zu einer Privatwohnung gehört, spielte und gemäss Campino eine der besten Parties überhaupt feierten. Ich selbst erinnerte mich daran, als «Die Goldenen Zitronen» ein Konzert in der Reithalle gaben und Campino, Kuddel und Wölli als Freunde mit auf Tour waren. An diesem Abend war es möglich, mit den Jungs ein paar Bierchen zu kippen, zu plaudern und einigen Unsinn anzustellen. Schön wars, doch das ist ewige Zeiten her, kaum mehr wahr und darum zurück zum Konzert. «Paradies» brach die Band plötzlich ab, denn einer (Pasci) im Publikum hielt ein Transparent hoch mit «Campino, das kann ich besser». Campino bat Pasci aus dem Aargau mit den Worten «Hier ist die Bühne der Verlierer» auf die Bretter die die Welt bedeuten und der Aargauer macht seine Sache gar nicht schlecht und nutzte die einmalig grosse Bühne, um sich in Szene zu setzen und die 15 Minuten Ruhm zu geniessen.
Weiter gings und spätesten bei «Alles aus Liebe» lagen sich die Menschen hüpfend in den Armen und Pyros werden gezündet, was die grimmigen Broncos in helle Aufregung versetzte. Bald war nicht mehr klar, was Schweiss, was verschüttetes Bier und was Freudentränen waren. Der grosse Headliner am Freitagabend brachte das textsichere Bern an den Rande des Kreislaufzusammenbruchs und bot ein gigantisches und energiegeladenes Konzert. Doch irgendwie war es vor vielen Jahren besser auf dem Güsche und dass machten nicht nur die teilweise fein rausgeputzten über 20’000 Zuschauer aus. Nein, irgendwie ist der Gurten Charme dem absoluten Kommerz gewichen, Freundschaften dem Sehen und Gesehen werden und irgendwie sehen sowieso alle gleich aus und das selbst an diesem Abend. Sie sind sauber, gesund, gutriechend, enthaart, leistungsfähig und unauffällig. Wie langweilig und irgendwie ekelhaft. Wo sind all die Freaks geblieben? Wo sind die Gruftis und Punks? All die «Spinner» kann man an einer Hand abzählen. Nix mehr los, überall gepflegte Menschen, die alle aussehen, als seien sie Mitte 30. Schon wenn sie 20 sind, sehen sie so aus. Wenn sie crazy sind, tragen sie Bärte und Hüte und ein Hosen Shirt.
Doch was solls, auch hier eine parallele zu der Band – und irgendwie macht es ja trotzdem Spass. Fast zwei Stunden rockte die Band und der stimmungsmässige Höhepunkt der diesjährigen Jubiläumsausgabe erwies sich einmal mehr als Idealbesetzung für ein Festival in diesen Breitengraden. Die gewohnte Spielfreude und Interaktion mit dem Publikum fehlte ebensowenig wie der crowdsurfende Ausflug Campinos zum Mischturm – inklusive bengalischer Fackel auf dessen Dach – und zurück. Der Gurten befindet sich beim Konzert der Toten Hosen im Sing-Along-Rausch, «Hier kommt Alex», «Wünsch Dir was», das Ärzte-Cover «Schrei nach Liebe», «Tage wie diese» und als erste Zugabe den «eisgekühlten Bommerlunder». Den Rest geben die müden Rebellen dem Gurten mit dem Abzählvers «Zehn kleine Jägermeister» und der amtlichen Verabschiedungshymne «Auf Wiedersehen». Ganz viel Spektakel, doch was die Toten Hosen bieten hat mit Punk nicht mehr viel am Hut, ist wohl eher zum Schunkelpunk geworden. Macht ja nix, Heino covert mittlerweile auch nen Song von «Die Ärzte», wird schon alles passen, ansonsten wird es passend «gemacht»… Bist du noch Punkrock?
Setlist der Toten Hosen am Gurtenfestival:
- Ballast der Republik
- Altes Fieber
- Auswärtsspiel
- Das ist der Moment
- Alles was war
- Heute hier, morgen dort
(Hannes Wader Cover) - Bonnie & Clyde
- Paradies
(Kann es Pasci besser?) - Niemals einer Meinung
- Alles aus Liebe
- Pushed Again
- Schrei nach Liebe
(Die Ärzte Cover) - Liebeslied
- Steh auf, wenn du am Boden bist
- Hier kommt Alex
- Wünsch dir was
- Tage wie diese
- Eisgekühlter Bommerlunder
- Alles wird vorübergehen
- Far Far Away
(Slade Cover) - Zehn kleine Jägermeister
- Schönen Gruss, auf Wiederseh’n
- Draußen vor der Tür
- Wort zum Sonntag
(Campino Croudsurfing) - Bis zum bitteren Ende
(Campino Surfing Back) - You’ll Never Walk Alone
(Gerry & The Pacemakers cover)
Encore:
Encore 2:
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